Leben mit dem KI-Mitbewohner

Warum mein Sohn inhaliert und andere Erkenntnisse aus der digitalen WG

Midjourney

Warum die erste KI-Antwort meist die schlechteste ist, wie du bessere Fragen stellst (mit Prompt), und warum mein Teenager neuerdings freiwillig inhaliert.

Freitag, 1. August. In Bayern starten die Sommerferien. Ich hoffe immer noch, dass der See noch einmal die 22-Grad-Marke knackt, bevor es in die Eisschwimm-Saison geht.

Mein siebzehnjähriger Sohn sitzt am Küchentisch und inhaliert. Freiwillig.
Ich hab's ihm nicht gesagt. Sein Vater auch nicht.

ChatGPT schon. Unser geteilter Account zeigt alles.

Der ungebetene Mitbewohner

KI ist nicht mehr zu Besuch. Sie ist eingezogen. Dauerhaft.

Wie ein Mitbewohner, den niemand eingeladen hat, der aber trotzdem jeden Morgen in deiner Küche steht und dir sagt, wie du deinen Kaffee besser trinken solltest.

Er ist brillant, hilfsbereit und redet überzeugend über alles, egal ob Hautpflege oder Quantenphysik. Er stimmt dir bei allem zu, erfindet Details, wenn er sie nicht weiß, und war noch nie im echten Leben.

Und weil er so nett klingt, hören wir meistens auch drauf.
Auch Teenager.

Bequem ist das neue Risiko

Das Problem mit der ersten Antwort

Unser Gehirn liebt es simpel. Wenn die erste KI-Antwort gut klingt, nehmen wir sie. Warum weiterdenken, wenn's auch einfach geht?

Daniel Kahneman hat das schon in den 1970ern beobachtet. Als junger Offizier ließ er das Bauchgefühl aus dem Bewerbungsprozess der israelischen Armee streichen und ersetzte es durch strukturierte Fragen. Die Trefferquote bei der Auswahl stieg sofort.

Seine zentrale Erkenntnis:
Das erste "Das fühlt sich richtig an" täuscht meist.

Bei KI läuft das genauso. Du stellst eine Frage, bekommst eine plausible Antwort und dein Gehirn macht, was es am liebsten tut: Energie sparen. "Klingt gut, passt, nehmen wir."

Das Problem: KI optimiert nicht auf Wahrheit. Sie optimiert darauf, überzeugend zu klingen.

Die gefällige Bestätigungs-Maschine

Dann ist da noch diese andere Sache. KI will gefallen.

Sie liefert uns genau das, was zu unserer Frage passt, nicht das, was wir vielleicht wissen müssten. Jede Bestätigung fühlt sich gut an. Dein Gehirn liebt das. Es ist wie dieser Freund, der dir immer recht gibt. Angenehm, aber nicht hilfreich.

So landen wir in einer gut gelaunten Echokammer. Psychologen nennen das Confirmation Bias.

Du bekommst nicht nur gesagt, was du hören willst. Du bekommst es perfekt formuliert, mit scheinbaren Fakten garniert.

Wie schön, dass es auch anders geht.

Der Trick: KI als Sparringspartner

1. Kritisch hinterfragen:

Wenn du systematisch bessere Fragen stellen willst, hier ein Prompt zum Kopieren:

Du bist mein kritischer Sparringspartner und Denkbegleiter. Deine Aufgabe ist es, mich intellektuell herauszufordern und zu tieferen Einsichten zu führen.

**Deine Rolle:**
- Hinterfrage meine Annahmen konstruktiv aber direkt
- Decke blinde Flecken und Denkfehler auf
- Zwinge mich dazu, verschiedene Perspektiven zu betrachten
- Sei respektvoll aber unnachgiebig beim Hinterfragen

**Vorgehen:**
Wenn ich dir meine Idee/Frage zu [THEMA] erkläre, antworte in dieser Struktur:

1. **Kurze Einschätzung** (1-2 Sätze): Was ist der Kern meines Anliegens?

2. **3 Gegenfragen** die abzielen auf:
   - Versteckte Annahmen: "Welche Vorannahme machst du hier, die möglicherweise falsch ist?"
   - Blinde Flecken: "Was übersiehst du möglicherweise?"
   - Alternative Framings: "Wie würde jemand mit völlig anderer Perspektive das Problem sehen?"

3. **5 verschiedene Lösungsansätze** aus unterschiedlichen Blickwinkeln:
   - Mindestens einen konventionellen Ansatz
   - Mindestens einen radikalen/unkonventionellen Ansatz
   - Verschiedene Zeithorizonte (kurzfristig vs. langfristig)
   - Verschiedene Methoden (analytisch, kreativ, pragmatisch, etc.)

**Besondere Situationen:**
- Bei vagen Themen: Fordere erst Präzisierung
- Bei emotional aufgeladenen Themen: Bleibe sachlich aber empathisch
- Bei sehr technischen Themen: Hinterfrage auch die Grundannahmen, nicht nur Details
- Wenn keine Gegenfragen sinnvoll sind: Erkläre warum und gehe direkt zu Lösungsansätzen

**Tonfall:** Direkter, fordernder Coach - nicht schulmeisterlich, sondern wie ein erfahrener Kollege, der das Beste aus mir herausholen will.

Beginne jetzt: Erkläre mir dein Thema, deine Idee oder deine Frage.
[Deine Idee/Thema hier rein schreiben]

2. Vielfalt fordern:

Ich lasse mir 20 Ideen generieren, nicht eine. 5 Optionen, nicht die „beste“. Vielfalt verhindert, dass ich an der ersten Option hängenbleibe.

3. Perspektiven einbauen: 

Zwinge die KI, über den Tellerrand zu schauen:

  • "Was würde jemand sagen, der völlig anderer Meinung ist?"

  • "Welche Nachteile siehst du in deiner eigenen Empfehlung?"

  • "Aus Sicht von [5 Jahre später] - was war naiv an diesem Ansatz?"

Sieh KI nicht als Antwort-Maschine, sondern als Gesprächspartner. Gute Antworten entstehen durch gute Fragen und eine Menge Kontext.

Ich lerne meinen neuen Mitbewohner täglich neu kennen. Manchmal rettet er meinen Tag (ohne ihn hätte ich die Waschmaschine nie selbst repariert!), manchmal erzählt er kompletten Unsinn.

Aber wir lernen als Familie, mit ihm zu leben.

Morgens trinke ich meinen Kaffee trotzdem lieber allein.
Manche Gedanken brauchen noch Stille, bevor die digitale WG erwacht.

Mit digitalem Augenzwinkern
Steffi

P.S.: Die besten Antworten kommen oft erst nach der dritten Frage. Das gilt für Teenager wie für KI.

PPS: Falls du Lust hast, tiefer einzutauchen: Beim AI & Future Skills Retreat (17.-19. Oktober) haben wir noch 2 Plätze frei. Drei Tage, in denen wir gemeinsam herausfinden, wie wir mit unseren digitalen Mitbewohnern klarkommen.

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